Die Wanderung auf den Gipfel des Bausenbergs

Die Wanderung auf den Gipfel des Bausenbergs

Der Bausenberg befindet sich zwischen Niederzissen im unmittelbaren Süden
und Waldorf im Nordosten. Östlich vorbei am Berg führt an der „Anschlussstelle Niederzissen“ die Bundesautobahn 61. Umgeben ist er von einem Naturschutzgebiet, das zunächst mit einer Verordnung vom 27. August 1968 einstweilig sichergestellt wurde.
Am 14. April 1981 wurde der Berg per Rechtsverordnung der Bezirksregierung Koblenz zum Naturschutzgebiet erklärt. Das Schutzgebiet hat eine Größe von 127 Hektar und umfasst Teile der Gemarkungen Niederzissen und Waldorf. Schutzzweck ist die Erhaltung des Schlackenkegels mit einem nach Nordosten ausgeflossenen Lavastrom, wegen seiner besonderen geologischen Bedeutung und als Standort seltener Pflanzenarten und Pflanzengesellschaften sowie als Lebensraum seltener Tierarten aus wissenschaftlichen Gründen. Auch der auf dem Bausenberg befindliche, gut ausgebildete Ringwall ist Teil des Schutzgebiets.1)

Als ich vor nun zehn Jahren hierher zog, waren es auch die Kegel der erloschenen oder schlafenden Vulkane, die mir den Weg in diese Gegend wiesen. Der Ort, an dem ich lebe, befindet sich sozusagen auf der vor 150 000 Jahren ausgelaufenen Asche des Vulkans. Man kann sagen, wir leben in Waldorf in seinem Schatten. Schon lange bevor ich mich am Fuße dieses Kegels niederließ, faszinierte er mich. Jedesmal, ob von Norden oder von Süden kommend, über die A61, fiel mein Blick auf diesen Berg.

Nahasdzaan, "Kopf der Erde“, ist das Navajo-Wort für solche Kegelberge. Und der Ethnologe und Religionshistoriker Karl W. Luckert schreibt in seinem Buch "Olmec Religion“ 2), dass die Menschen dieser wohl ältesten mittelamerikanischen Kultur die Kegelvulkane als den Kopf der großen Erdschlange betrachteten. Und dass die Bewegung dieser Schlangen nach dem Glauben dieser Völker die Ursache seien für die in Mittelamerika häufigen Erdbeben, die mit ihrer Asche die Erde befruchteten.

Die Wahrheit über den Bausenberg


Wir wissen nicht, ob die Menschen, die vor vielleicht 150 000 Jahren hier in der Eifel lebten, so etwas wie einen Schlangen- oder Drachenkult kannten. Nur in Sagen und Märchen des alten Europas tauchen Drachen in europäischen Landschaften auf. Und meist sitzen sie auf großen Schätzen. Das ist alles jetzt lange her und die Wissenschaft, die Religion unserer Zeit, kennt solche Dinge nicht.

Aber egal in welcher Welt und welcher Kultur: Stein und Berg, erst recht Vulkane, verkörpern oft das Heilige. Und der Blick von oben hat immer was Erhabenes. Ob im Judentum, im Christentum, im Buddhismus oder im Islam: Alle Religionen kennen heilige Berge. bamot heißt im hebräischen "ein erhöhter Ort“3), der Ort, wo die Menschen sich versammelten, um mit Gott zu sprechen, ehe Salomon den Tempel baute. Danach wurden die erhöhten Orte, die Berge, Orte des Bösen, nicht nur im Judentum, auch im Christentum und im Islam. Die Rolle der Berge übernahmen die Kathedralen, die Tempel und Moscheen. Orte, bei denen keine Gefahr bestand, in den Paganismus zurück zu fallen. Orte, die in der Hand und der Kontrolle der Priester sind. Denn wer weiß, wem man da oben auf dem Berg begegnet.

Mohammed erhielt auf dem Berg Hira seine Instruktionen vom Erzengel Gabriel. Das war die Erweckung Mohammeds, die Salman Rushdie in seinen "Satanischen Versen" in Frage stellte und sich fragte, wem begegnete da Mohammed wirklich?


Als ich am Morgen des 13. September 2016 mich aufmachte, den Bausenberg, diesen uralten, von Sagen umrauschten Berg, zu erwandern, tat ich das “in a sacred manner“, wie es Black Elk 4), der heilige Mann der Lakota, ausdrücken würde. Es war mir klar, dass ich hier nicht den Harney Peak in den Black Hills von South Dakota besteige (der übrigens inzwischen von der US-amerikanischen Regierung in Hächaka Sappa Peak umbenannt wurde, also in Black Elk Peak). Es ging mir nicht darum, das Indianische hierher zu holen in die Osteifel, vielmehr dem nach zu fühlen, was der Ethnologe Karl W. Luckert "the Prehuman Flux 5) nannte und was der chinesische Dichter Toba nach seinem Kensho 6) so formulierte

Die Stimme des Tales ist (Buddhas) weite und lange Zunge
die Formen des Berges sind nicht anderes als sein reiner Körper
vierundachtzigtausend Verse klingen durch die Nacht,
wie kann ich dies an einem anderen Tag den Menschen sagen?


Als er diese Verse dem Zen-Meister Jo(so) vorlegte, bestätigte dieser die Erfahrung. 7)

bausenberg2


Als ich im zweiten Jahr meines Aufenthaltes hier in der Osteifel am äußersten Rande derselben von oberhalb der Burg Rheineck in das Vinxtbachtal schaute, begriff ich diese Zeilen und ich erfuhr, was sie im tiefsten Innern bedeuten.

Ich kannte diese Empfindung, ich kannte sie seit meiner frühesten Kindheit. Dieser Moment, in dem die Welt da draußen, die Zivilisation, von mir abfällt und ich eins werde mit dem, was mich unter freiem Himmel umgibt, der Wind, das Rauschen der Blätter, die Stimmen der Vögel. Wo sich die Erde, die Landschaft der Eifel, mit dem verbindet, was weit weg scheint, aber doch so nahe ist: der lebendige Geist der Erde. Oder soll ich sagen das Licht der Welt? Mit den Worten des chinesischen Dichter Tobas: Buddhas weite lange Zunge. Und die Form des Berges ist nichts anderes, als der reine Körper. Egal wie ich es nenne, es ist heilig. Und die Landschaft hier kann ja nichts dafür, dass wir sie entheiligt haben.

Ich besteige den Berg also über den Osthang, auf dem Pfad, den der große Trampler, jener große in der Bausenberg Sage beschriebene Stein, auf dem Gipfel am Rand des Vulkans ertrampelte. Und begegne ihm oben 8)

Trampler


Ich frage mich: Was empfanden unsere Vorfahren, als Orte wie diese noch lebendige Orte waren und dort mächtige Wesen, möglicherweise die Götter, wohnten? Es gibt eine wunderbare Beschreibung dessen, was eine solche Wanderung für archaische Menschen bedeutete, verfasst von Alfonso Ortiz 9), er beschreibt in diesem Essay, wie im Jahre 1932 die Ältesten des San Juan Pueblos in New Mexico beschlossen, während der großen Dürre jener Jahre im Südwesten der USA zu einem ihrer heiligen Berge zu pilgern, um dort die Geister der Ahnen um Regen zu bitten. Ich kann hier nicht auf die Details der Reise eingehen, das würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, aber sie ist ein wunderbares Beispiel einer Pilgerfahrt zu einem solchen heiligen Berg. Ortiz beschreibt, wie die Priester des Sommers und die des Winters, also der Jahreszeiten, sich mit den heiligen Clowns und den Clanältesten auf den Weg machten, um diesen Berg zu erwandern und sowohl am Fuß des Berges wie auch unterwegs ihre Rituale zu zelebrieren. Es ist eine gefährliche Reise, der Berg verlangt seine Opfer. Einer der Priester, der der Stimme des Berges folgte, die nur er während der Wanderung hörte, kehrt nicht mehr zurück, er bleibt im Berge. Trotzdem war die Pilgerreise am Ende ein Erfolg, da sie den lang ersehnten Regen brachte.
Mir kommt es in diesem Zusammenhang auf die Stimme des Berges an. Der rufende Berg und die, die im Berg bleiben. Ein Motiv, das sich bis heute in der Bergsteiger-Mythologie erhalten hat. Wir kennen alle den Spruch: Der Berg hat ihn sich geholt.

Später entdecke ich ein Büchlein: "Sagen und Legenden der Eifel“, gesammelt und bearbeitet von Hans Peter Pracht, erschienen im J.P. Bachem Verlag Köln. Darin finde ich den von mir gesuchten Beweis des Zusammenhangs von Berg, Vulkan und Drache: die Sage vom Drachen des Bausenbergs. Eine Geschichte, wie wir sie alle kennen: von Tolkiens Hobbit, aus dem Nibelungenlied und vielen anderen mythischen Erzählungen, wie der Sage vom Drachen, der die Ernte zerstört und Jungfrauen als Opfer verlangt. In der Bausenberg-Sage ist es der heilige Georg selber, der dem Unwesen des Drachens ein Ende bereitet und dem Gott der neuen Religion, dem Gott ohne Namen, die Macht gibt, und so die alten lokalen Gottheiten in ihre Schranken weist.
So wie Cortez 10)mit der Besteigung des Popocatepetel in Mexiko das Ende des Azteken-Reiches einleitete, so beendete der heilige Georg die Zeit der Drachen und der heiligen Berge in der Osteifel. So scheint es.

Am Fuße des Bausenberges befindet sich eine Kapelle, geweiht einem der zahlreichen Heiligen der katholischen Kirche, Heilige, an die der, der dem Christentum den Namen gab, vermutlich gar nicht gedacht hat. Aber wer weiß: Vielleicht ist es auch in der Osteifel so wie in Mexiko, wo die alten lokalen Götter als Heilige wieder auferstanden sind.

Bausenberg

Oben auf dem Berg begegnete mir dann in der Gestalt des großen Tramplers der zuständige Geist des Berges. Nach der Art der Mohawk opferte ich ihm Tabak und hinterließ ihm ein Geschenk. Von dort blickte ich über das Brohltal hinweg zum Laacher See und fühlte mich gesegnet.
Der Drache hat den Bausenberg seit Jahrtausenden verlassen, wie es scheint. Aber da ist noch einer drüben unter dem Laacher See. Und der schläft und träumt.

1)Quelle https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bausenberg
2)Karl W. Luckert, Olmec Religion A Key to Middle America and Beyond 1976, University of California Press
3)Ronald Levitsky "Mit der Macht der Geister" S. 89, Rowohlt 1995
4)John Neihard, Schwarzer Hirsch "Ich rufe mein Volk" Walter Verlag Olten
5)
Karl W. Luckert, the Navajo Hunter Tradition, the University of Arizona Press 1981
6)Erwachen, im allgemeinen Sprachgebrauch Erleuchtung
7)"Shobogenzo, die Schatzkammer des wahren Dharma Auges, Meister Dogen, Werner Kreistiz Verlag, Heidelberg

8)
(4) Eine Bausenbergsage und zwei neue Märchen.
Ein Auszug aus "Die Orchideentrampler":
"... Da ertönte ein dumpfes, monotones Getrampel und, wie aus dem Boden gestampft, stand ein seltsames, unbekanntes Tier vor den Verliebten.
'Hör zu, Großer Trampler, geh vor den beiden her, bis zu des Berges Fuß und schaffe ihnen einen Pfad, damit sie sich bei ihrem nächsten Besuch nicht so plagen müssen - Euch beide aber bitte ich, das Geheimnis des Vulkans zu bewahren, auf dass meine Orchideen keinen Schaden nehmen und niemand mir meine Mußestunden störe.'
Freudig versprachen sie es und huschten davon, denn der Große Trampler war schon kräftig dabei, mit seinen klumpigen Füßen einen Trampelpfad in den östlichen Außenhang des Vulkans zu treten.
Leider kam jedoch alles anders, als es sich die Fee und die beiden jungen Leute aus dem Tale gewünscht hatten ..."
MÜLLER, W. & SCHRÖDER, H. (2003)
Der Bausenberg
Vulkan und Heimat seltener Pflanzen und Tiere
Görres-Verlag, Koblenz, bebildert, 276 Seiten.
9)
Syndikat, Frankfurt am Main 1981, Alfonso Ortiz, Die letzte Wanderung auf den Berggipfel
in Hans Peter Dürr "DerWissenschaftler und das Irrationale"
10)
Tzetvan Todorov, Die Eroberung Amerikas, das Problem des Anderen, Edition Suhrkamp 213; 1985

eine krähe ohne Mund 1


gedichte des zenmeisters ikkyu
in der version des
amerikanischen poeten
stephen berg


copyright 1989, 2000 stephen berg
alle rechte vorbehalten
übersetzt ins deutsche
von jean lessenich und robert kuhn


Ikkyu-Sojun


hinweis: die zwei anekdoten in der einleitung, über ninagawa und shuko, sowie die beiden gedichte “leere ist form” und “form ist leere”, übersetzt von lucien stryk und takashi ikemoto, sind aus "zen: poems, prayers, sermons, anecdotes, interwiews" (2nd edition 1981); abdruck mit erlaubnis von swallow/ohio university press. ikkyus sterbegedicht am ende der einleitung ist aus "zen poems of china and japan: the crane’s bill" (evergreen edition, 1987), übersetzt von lucien stryke und takashi ikemoto; abdruck mit erlaubnis von grove press für masao abe und meinen lieben freund jeff, Stephen Berg


einleitung
als ninagawa-shinzaemon, poet und zen schüler, hörte, dass ikkyu, abt des berühmten daitokuji der rinzai schule des zen in murasakino (auf dem lila felde), einem stadtteil kyotos, ein bedeutender meister sei, wünschte er, sein schüler zu werden. er ging zum tor des tempels und rief nach ikkyu. es ergab sich folgender dialog:

ikkyu: wer bist du?
ninagawa: ein schüler des buddhismus.
ikkyu: wo kommst du her?
ninagawa: aus deiner gegend.
ikkyu: ah, und was passiert dort in diesen tagen?
ninagawa: die krähen krähen, die spatzen zwitschern.
ikkyu: und wo denkst du, sind sie jetzt?
ninagawa: in einem feld von violetter farbe.
ikkyu: warum?
ninagawa: miscanthus, lila prunkwinden, färberdisteln, astern, chrysanthemen.
ikkyu: und wenn sie gegangen sind?
ninagawa: dann wird man es das herbstfeld nennen.
ikkyu: was passiert auf dem feld?
ninagawa: der fluss fließt durch, der wind weht darüber.


begeistert über ninagawas zen-sprache lud ikkyu ihn ein, servierte ihm tee und sprach das folgende spontane gedicht:

ich möchte dir delikatessen servieren,
aber ach!
das zen kann dir nur nichts bieten


darauf antwortete ninagawa mit folgendem gedicht:

der geist, welcher mich treibt zum nichts,
ist die ursprüngliche leere
eine delikatesse der delikatessen


tief berührt sprach der meister: mein sohn,du hast viel gelernt.

diese worte sprechend erinnerte sich ikkyu möglicherweise der harten behandlung, die er von seinem zweiten meister, kaso sodon, unter denselben umständen erhalten hatte. kaso ignorierte ihn vollkommen, während er fünf tage ausserhalb des tempeltores wartete, und die schüler ihm wasser über das haupt schütteten. es hätte noch mehr dazu gehört, um diesem schüler seinen mut zu nehmen. letztlich akzeptierte kaso ihn. es war sicherlich nicht die güte ikkyus, welche ninagawa den mut gab, bei ikkyu vorzusprechen, dessen ruf anlass zum fürchten gab. im gegenteil: alles was er gehört hatte über den berühmten meister, poeten und maler, sprach dafür, dass es diesem gefallen würde, wenn er ihn in jener art anspräche. wie sich es ja dann auch als richtig herausstellte.

ikkyu sojun wurde, nach den traditionellen quellen, im jahre 1394 geboren, als natürliches kind des kaisers go komatsu und einer hofdame aus dem fujiwara clan am kyoto hof. die kaiserin, zornig über den seitensprung des kaiserlichen gatten, verbannte die schwangere hofdame in eines der ärmeren viertel kyotos, in dem ikkyu dann geboren wurde. wie üblich zu dieser zeit gab man uneheliche kinder von adligen wie ihn zur mönchsausbildung. so kam er im alter von sechs jahren in kyotos ankokuji tempel.

seine große poetische begabung zeigte der junge bereits im alter von dreizehn jahren. er komponierte gedichte im chinesichen stil, eines am tag, keines mehr und keines weniger. mit fünfzehn schrieb er zeilen, die sofort überall rezitiert wurden. er war schon in diesen jungen jahren sehr auf seine unabhängigkeit bedacht, ein einzelgänger. vieles störte und ärgerte ihn am tempelleben, der heuchleriche snobismus, die klerikale karrieren über familienbeziehungen. er stichelte gegen seine mitmönche mit bissigen kommentaren.

mit siebzehn hatte ikkyu einen zenmeister, ken’o, mit dem er vier jahre lang zusammenlebte, bis zu ken’o’s tod. ken’o war bekannt für seine gelassenheit und den mitfühlenden umgang mit seinen schülern, um deren wohlergehen er sehr besorgt war. der verlust ken’o’s schmerzte ikkyu sehr. verglichen mit ihm wirkten andere zenmeister brutal und rücksichtslos und pedantisch, wenn es um die tempelrituale ging. als neuen lehrer wählte ikkyu einen harten und strengen meister der rinzai schule namens kaso sodon. der stammte aus der linie des daitoku-ji tempels, dessen beachtliche linie von meistern später zu hakuin führte (1686-1769), wohl einem der grössten zenmeister. kaso war sich der bedeutung einer solchen linie bewusst und erfüllte seine pflichten als abt vorbildlich. er zog es vor, in einem kleinen tempel in kataka zu leben, nicht weit von kyoto entfernt an den ufern des biwa-sees.

im alter von fünfundzwanzig durchdrang ikkyu, einem lied aus dem heike monogatari lauschend, ein koan (zen problem zur meditation), das kaso ihm gegeben hatte. er sprach immer wieder davon, dass dies der moment seines ersten kensho (erwachen)gewesen sei. doch die tiefgründigere erfahrung kam zwei jahre später. während er auf dem biwa-see in einem boot saß und zazen (sitzmeditation) praktizierte, hörte er den ruf einer krähe. im selben augenblick war er vollkommen erleuchtet.er eilte zu kaso, um sein satori bestätigen zu lassen, doch der meister sagte: „dies ist nur die erleuchtung eines arhats, du bist jetzt noch kein meister.“ ikkyus antwort: „dann bin ich glücklich, ein arhat zu sein, ich verabscheue meister.“ worauf kaso erklärte: „jetzt bist du wirklich ein meister.“

nach diesem erwachen blieb ikkyu bei seinem meister und pflegte ihn. kaso war nämlich wegen seiner fortschreitenden krankheit, einer zunehmenden lähmung der beine, ein pflegefall geworden und musste überallhin getragen werden. ikkyus unermüdliche hingabe und treue wurden legende:

mein sterbender lehrer
unfähig sich zu reinigen
nicht wie ihr schüler
die ihr bambus benutzt
ich reinigte seinen lieblichen arsch
mit blossen händen


kaso starb, als ikkyu fünfundreißig war. für den verwaist zurückgebliebenen mönch folgte die schwärzeste zeit seines lebens, voller klagen und trauer. dem selbstmord nahe begann er ruhelos umherzureisen, belastet mit den trümmern seines lebens. sein bisweilen schamloses verhalten in dieser schlimmen zeit wurde allgemein als skandalös empfunden. niemals versuchte ikkyu sich als heiliger zu stilisieren. er akzeptierte seine leidenschaften als natürlichen teil seines lebens, bekannte sich offen zu seiner schwäche für sake und die frauen. lief der tag schlecht, eilte er vom tempel zur kneipe und von dort ins bordell. krisen voller selbstzweifel und schuldgefühle waren die folge. er rettete sich vor ihnen durch die flucht in die einsamkeit seiner einsiedlerhütte in den bergen von joo:

zehn jahre voller wonnen im freudenhaus
jetzt allein in den bergen die pinien wie gefängnisgitter
der wind kratzt meine haut


ikkyu besaß auch noch eine einsiedelei in kyoto, die er katsuroan (blinder-esel-eremitage) nannte, aber öfter fand man ihn im daitoku-ji. doch immer mehr schmerzte ihn das zunehmende eindringen weltlicher angelegenheiten in das leben im haupttempel, er fand dies geradezu widerlich. ihn schauderte vor der geschäftlichen seite des religiösen. mit kasos nachfolger, yoso, der zwanzig jahre lang sein älterer mönch gewesen war, verband ihn eine intensive feindschaft, repräsentierte yoso doch alles, was ikkyu ablehnte an der damals üblichen praxis in den rinzai-tempeln, vor allem die wilde jagd nach zuwendungen und spenden aller art:yoso verteilt großzügig sinnlose geschenke im ganzen tempel

mein stil ist anders
ein regenmantel aus stroh
wandernd am fluss beim see


zehn tage nervöses getue der ganze tempel in roten bändern
wenn ihr mich sucht schaut nach in den kneipen
den hurenhäusern am fischmarkt


im jahre 1471, mit siebenundsiebzig, entflammte ikkyu leidenschaftlich für ein blindes mädchen, die dienerin am shuon’an-tempel in takagi war. er schrieb gedichte über ihre affäre, manche komisch, manche tiefgefühlt. er war sich der ungewöhnlichkeit der beziehung bewusst, ein alter zen-mönch verliebt sich in ein junges mädchen, doch sie blieben viele jahre zusammen, ikkyus gefühle für sie nahmen sogar noch an intensität zu.

ich liebe es meine junge neue blinde freundin mori
zu einem frühlingspicknik zu begleiten
ich liebe es ihr schönes offenes gesicht zu sehen
feucht von sexueller hitze glänzend

dein name mori bedeutet wald
wie die unbegrenzt frische lebenskraft deiner blindheit


als ikkyu das alter von zweiundachtzig erreichte, ausgeglichener, ruhiger und gelassener als je zuvor, ernannte man ihn zum abt des daitoku-ji. und oft drückte er sein fast kindliches erstaunen darüber aus, dass man ihm trotz seines lebenslangen unorthodoxen lebens eine solche hochrangige stelle geben hatte. er blieb dann allerdings oft weg vom daitoku-ji und lebte lieber bei seiner geliebten im shuon’an-tempel, wo er schließlich auch 1482 im alter von achtundachtzig jahren starb.

es wäre falsch, ikkyu nur als wüstling zu erinnern, der als freiester der freien der orthodoxie täglich ins gesicht gespuckt hat. die meisten seiner gedichte gehorchen dem strengen kanon des zen, weitergetragen und überliefert von den schülern des zen. zu den bekanntesten seiner zen-gedichte gehören zwei, die das konzept „form ist leere“ und „leere ist form“ zum inhalt haben, wie es auch zum ausdruck kommt im hridaya (der herz-sutra), einer der wichtigsten sutren des buddhimus’, die für die zen-schule von großer bedeutung ist.

leere ist form
wenn dann wie sie sind
weiße tautropfen sich sammeln
auf scharlachroten ahornblättern
beachte die scharlachroten perlen

form ist leere
der baum ist kahl
alle farben aller duft gegangen
doch schon tief im stamm unter der rinde
unbeachtet der frühling


takashi ikemoto, mein jüngst verstorbener partner bei dieser übersetzung,(aus dem japanischen) hat mich des öfteren auf die spirituelle und metaphysiche signifikanz solcher gedichte für die zen-gemeinschaft hingewiesen. wir betrachteten jedes wort und jeden satz von allen seiten, stets im bewusstsein vom range ikkyus, seines lebens, seiner kunst. unbeeindruckt von seinem oft unkonventionellen verhalten legten wir unseren schwerpunkt auf seine bedeutung als großer zen-lehrer, dessen einsichten viele schüler geleitet haben. murato shuko, der bedeutenste teemeister seiner zeit, war auch ein schüler ikkyus. so kam es, dass dieser ihn eines tages während eines besuches fragte, was er wohl von meister joshus ehrfurcht dem teetrinken gegenüber halte. der hatte, egal welche klagen oder ansichten seine schüler äusserten, immer mit dem selben satz geantwortet: „nehmt erst mal eine tasse tee.“ shuko schwieg und ikkyu reichte ihm eine tasse tee.in dem moment, da shuko die tasse an seine lippen führte, schrie ikkyu „kattsu“ und zerschlug mit einem hieb seines stabes die tasse in der hand des teemeisters. der teemeister verbeugte sich.„wie bist du?“ fragte ikkyu, „wenn du nicht das geringste bedürfnis nach einer tasse tee hast?“ shuko stand auf und machte anstalten, den raum zu verlassen.„halt,“ rief ikkyu. „wie bist du, wenn du tee getrunken?“ „das gras ist grün, die rose rot“ war shukos antwort. ikkyu lächelte zufrieden. trotz seiner berühmten inneren freiheit nahm er während seines ganzen lebens gewissenhaft die verantwortung gegenüber seinen schülern sowie den ritualen der tempelroutine ernst. wohl gerade wegen dieser ernsthaftigkeit passierte es immer wieder, dass ihm diese routine zum halse raus hing. dann verließ er den tempel und zog sich in die berge in kyotos hinterland zurück, fern von der kriecherischen zengemeinde, deren verhalten den privilegierten gegenüber ihn oft anekelte, vor allem ihre blindheit gegenüber der rohen gewalt der herrschenden gegen das volk.

im alter von siebenundvierzig
kam jeder um mich zu sehen
so ging ich fort


voller zorn zerriss er einmal jenes dokument, das ihm kaso auf grund seiner erleuchtung am biwa see verliehen hatte, das so genannte inka, das ihn berechtigte, zen zu lehren und den titel meister zu tragen. seine schüler klebten es wieder zusammen, woraufhin er es verbrannte.



mit einer für ihn wohl typischen geste, so stelle ich es mir vor, verließ ikkyu den tempel in richtung der nächsten kneipe und beendete die nacht im bordell. wer sind wir, die heutigen, jahrhunderte später, welten von ikkyu entfernt, sein ungewöhnliches leben zu beurteilen? die japaner verwirrt er ebenso, bis auf wenige ausnahmen. da sind die, die ihn rechtfertigen, und die, die ihm folgen. es wäre falsch sich vorzustellen, dass sie eher als wir tolerieren, aus bemühter exzentrik. obgleich sie an zen verhalten gewöhnt sind, wie die chinesen an taoistiches verhalten, sind da doch klare grenzen der toleranz, heute wie damals. es ist die totale freiheit, die er verkörperte, die ihn zu einer solch attraktiven figur machte und macht.was ist falsch daran, sich am körper zu entzücken, seine natürlichen bedürfnisse nicht zu verleugnen. welche autorität hat das recht, das sexuelle zu verdammen, wenn einer dabei vermeidet, schmerz und leid zu verbreiten. und wenn einer dabei beständig die wirklich goldene regel des buddhismus lebt: nicht offensiv und aggressiv zu leben, aber leidenschaftlich.da ist eine tiefberührende seite an „verrückte wolke“, wie er sich selber nannte und worunter er unter dem volk bald bekannt war.

es ist jener frühling,
den der alternde mensch auch in seinem winter erleben kann.
ich war ein alterblätterloser baum
bis wir uns trafen
grüne knospen blüten barsten aus der rinde
nun wo ich dich habe
vergesse ich nie was ich dir danke


der weißhaarige priester
in den späten achtziger,
ikkyu,singt laut jede nacht
zu sich selbst und dem himmel den wolken
weil sie sich
freiwillig gab
ihre hand ihr mund
ihre brüste
ihre langen feuchten schenkel


nicht nur ikkyu in seiner erfüllung hat seiner jungen blinden liebe mori zu danken, jeder zen bruder und jede zen schwester verdankt ihr vieles. denn in des wortes wahrster bedeutung erhöhte sie sein leben. inspirierte seine tage und hielt seinen zen geist klar. ein geist so klar und scharf, dass er selbst an seinem ende, als er wie alle meister seiner zeit sein sterbegedicht tuschte, es nicht lassen konnte, auch dort einen widerhaken einzubauen.

südlich des berges sumeru
wer versteht da mein zen
ruft nach meister kido
-auch dieser -
nicht einen cent wert


„eine krähe ohne mund: ikkyu“ ist eine großartige sammlung vieler der stärksten und ikkyu offenbarenden gedichte, vorgelegt in einer sehr freien und in hohem maße lebendigen übertragung von stephen berg, ikkyus bruder im geiste. eine sammlung, an der man sich erfreuen kann und die, da bin ich mir sicher, auch ikkyu erfreut hätte.lucien stryk

Fortsetzung folgt/oder:
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Ikkyu: Crow With No Mouth: 15th Century Zen Master
by Stephen Berg
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Über...



Orange_is_the_new_Black


Zu „Orange is the New Black“, der Netflix-Serie, die in einem Frauengefängnis spielt, hier ein paar Gedanken.

Ich weiß nicht, ob es Absicht der Autor_in war oder einfach auf Grund Ihres Wissens und ihrer Kenntnis menschlichen Verhaltens entstanden ist. Es ist die beste Serie, die ich je zum Thema Karma gesehen habe. Dem buddhistischen Gesetz von Ursache und Wirkung. Man kann das auf alle Entscheidungen der Protagonisten der Serie anwenden. Besonders deutlich wird es aber bei der Heldin der Serie, die ja durch jede ihrer Entscheidungen tiefer im Schlamassel versinkt.

Das ist übrigens der Grund, warum Menschen aus Ost- oder Südostasien oft so wirken, als ob sie jede Entscheidung suchten zu vermeiden. Was natürlich nicht so ganz funktioniert. Da das Leben uns ja oft Entscheidungen aufzwingt. Jede Beziehung, egal zu was, führt zwangsläufig zu Entscheidungen und damit zur Anhäufung von Karma im Buddhistischen Sinne. Man beobachtet oft beim Kennenlernen von Asiaten aus den genannten Gegenden Asiens, daß diese in der Reaktion auf die aufgenommene Beziehung eigenartig unverbindlich bleiben. Dies dient der Vermeidung, Karma anzuhäufen. Ob das glückt, halte ich für zweifelhaft.

Unsere Protagonistin in „Orange is the New Black“ ist sich in keiner ihrer Handlungen der Folgen bewusst. Sie landet aus Lust und Lebensfreude im Gefängnis und ist sich von vornherein nicht darüber im Klaren, daß sie damit die Welt der heteronormativen Matrix verlässt. Und für diese nun praktisch verloren ist. Selbst wenn sie weiterhin eine Cis-Frau bliebe.

Es ist ja nun so, daß die Matrix nicht nur die Eindeutigkeit von Mann und Frau von uns verlangt. Nein, sie prägt jeden Aspekt unseres Lebens und innerhalb des Selben. Sie hat Einrichtungen und Orte für die Menschen, die die Regeln der Matrix gebrochen haben. Eben Gefängnisse oder Psychiatrie.

In der westlichen Welt gibt es den Glauben an gutes und schlechtes Karma. Was im Sinne des Buddhismus ein Irrtum ist. Es gibt weder gutes noch schlechtes Karma. Karma passiert einfach und man kann im Voraus nicht wissen, wo unsere Entscheidungen hinführen.

Unsere Protagonistin versucht also in der Serie, eine früher begangene Handlung von ihr an einer Mitgefangenen durch eine gute Tat wieder gut zu machen. Was dazu führt, daß diese versucht, unsere Protagonistin zu vernichten, weil sie nicht ertragen kann, das die von ihr gehasste Person ihr jetzt etwas Gutes getan hat. Und was schließlich damit endet, daß unsere Serienheldin beim sich Erwehren gegen die Person, der sie jetzt nun eigentlich Gutes getan hat, diese praktisch halb tot schlägt. Was dann zwangsläufig dazu führt, daß sie wieder einen Schritt tiefer in die Kriminalität rutscht und eine Rückkehr in die sie beschützende Matrix immer unwahrscheinlicher wird.

Es gibt im Zen die Geschichte von einem Wanderer, der während seiner umherirrenden Reise sieht, wie ein anderer Mensch mit seinen Zähnen an einem Zweig über einem Abgrund hängt. Was soll er tun? Wenn er den Menschen am Zweig tatsächlich nach dem Weg fragt ...

Ja, was soll unser Reisender tun? Eine Frage würde definitiv zum Absturz des Menschen am Zweig führen. Ihn zu retten bringt den Reisenden vielleicht selbst in Gefahr, und möglicherweise ist das Ganze ja sogar eine Falle von Räubern?

Die Antwort: "Es gibt keinen Ausweg und den Weg musst du gehen."


Und das macht unsere Heldin. Sie geht den Weg ohne Ausweg. Sie hat keine Chance und diese nutzt sie, wie Franz Xaver Kroetz es einmal formulierte. Und wie sie tun das auch alle weiteren Protagonisten dieser Serie. Letztlich ist die Serie eine Metapher für die Matrix, in der wir leben - auch Zivilisation genannt. Der Religionshistoriker und Ethnologe Karl W. Luckert 1) nennt das „Domestizierung“ und dies erinnert irgendwie an Orwells „Farm der Tiere“.

Der Ethnologe Luckert sagt, daß wir, die Menschen, mit der Domestizierung der Pflanzen und Tiere die Herrschaft über die Erde begründet haben und damit die Zivilisation. Was es aber auch notwendig machte, den Menschen selber zu domestizieren. Ein System, das sich nun seit mehr als zehntausend Jahren immer wieder erneuert, indem es immer neue Formen der Ausbeutung erfindet. Von der Herrschaft der ägyptischen und chinesischen Gottkönige, Pharaonen und Kaiser, die tausende von Menschen töteten, um sie ins Jenseits zu begleiten, bis zu den Wirtschaftskonzernen des IWF und der Weltbank von heute.

Was soviel bedeutet wie: Gefängnisse und Psychatrie sind Domestizierungsanstalten, die geleitet werden von den am besten Domestizierten, die wiederrum nicht nur solche Anstalten führen können sondern auch politische Karrieren ergreifen oder Banken und Konzerne leiten. Kurz, das System erneuert sich aus sich selbst und passt sich den Gegebenheiten an.

Einer der Insassen von „Orange is the New Black“ sagt an einer Stelle der Serie: „Ich meine nicht uns, die wir hier im Gefängnis sind. Ich meine die wirklichen Verbrecher. Die von Monsanto und HalliBurton, und Phillip Morris.“

Es wird spannend, zu sehen, wie sich das Raubtier Mensch aus der Klemme befreit. Einerseits unendliches Wachstum, andererseits aber endliche Resourcen. Es erinnert irgendwie an die Geschichte von dem Reisenden und dem Mann mit den Zähnen am Zweig.

Literatur

1) https://de.wikipedia.org/wiki/Orange_Is_the_New_Black

2) https://de.wikipedia.org/wiki/Wumenguan

3) Jaeger-Tempel am Bauchberg Goebekli Tepe von Karl W. Luckert http://www.amazon.de/dp/0983907250/ref=cm_sw_r_tw_dp_I5U0vb19T06EK via @amazon

4) https://en.wikipedia.org/wiki/Karma_in_Buddhism#Zen

Abschied 2

ScanZeichnung Marie Hugo

Paris, wie üblich. Laut, die Straßen voller Autos. In dem Gewühl, Partho Ghosh und ich, wir kämpften uns mit dem Auto durch den Verkehr. In der Hoffnung den Weg zu unserer Verabredung zu finden. Wir waren verabredet. Hatten einen Termin. Vielmehr Partho hatte ihn, ich war seine Begleitung. Er war der Creative Director. Ich seine AD (Art Direktorin). So wie es auch in Realität damals gewesen. Mir war durchaus bewusst das Partho vor einigen Jahren unter dubiosen Umständen an einer Überdosis Tabletten und Alkohol gestorben, tot war und ich, in meinem Traum, mit einem Toten unterwegs.
In meinen Träumen, bin ich zurzeit viel mit den Verstorbenen unterwegs. Vor ein Paar Tagen, mit Russel Means einem leitenden Mitglied des American Indian Movement. Er war zusammen mit seinen Schwestern und Brüdern vom American Indian Movement Anfang der Siebziger Jahre Einer der Besetzer von Wounded Knee und führender Kopf des AIM im Oglala Reservat Pine Ridge in den USA. Die Besetzung der Kleinstadt Wounded Knee im Reservat dauerte 71 Tage. Wobei sich die kleine Gruppe von AIM Leuten, Frauen und Kinder der Lakotah, in einem heldenhaften Widerstand gegen FBI, Nationalgarde und zivilen weißen Kräften befand. Die Belagerung endete am 7. Mai 1974 die Natives ergaben sich der Übermacht des FBI und der Nationalgarde. Trotzdem veränderte dieses Ereignis für immer das Bewusstsein der indigenen Bevölkerung Amerikas.

10514529_1_lRussell Means by Andy Warhol

Andy Warhol hielt es für Wert ein Porträt von Russel Means anzufertigen. In den Neunzigern spielte Russel Means den Chingachkook in der Hollywood Verfilmung von James Fenimore Coopers Roman: "Der letzte Mohikaner".
In meinem Traum von vor zwei Tagen räumten wir eine Bank aus und mussten das am frühen Morgen machen damit Frau Merkel es nicht mitbekam. Der Traum hatte als Location New Mexiko wo Russel Means vor einem halben Jahr an seinem Krebsleiden verstorben.
Die Schlussszene war, das Russel und ich, beobachteten, wie Russels Sohn Tatanka Means ein Grab aushob, zusammen mit einem seiner Brüder. Und dort am Grab, auf der Erde sitzend, Ihre Beine ins Innere des Grabes baumeln ließen und dabei Karten spielten und fröhlich lachten.
Während Russel Means und ich diese Szene beobachteten meinte dieser zu mir: "das Sterben ist etwas alltägliches und gehört zum Leben. Es ist falsch den Toten eine Träne nach zu weinen".


partho-ghosh-foto.1024x1024Partho Ghosh

Zurück nach Paris und zurück zu Partho und meiner Traumgeschichte.
Letztlich fanden wir den Ort unserer Verabredung in irgendeinem der Pariser Vororte im Norden. Ein Studio, das eher wie eine Werkstatt wirkte. Mit Menschen die alle in ihren verschiedenen Beschäftigungen vertieft, mich mit einem Seitenblick, die Fremde, neugierig betrachtend. Während ich mich ebenfalls voller Neugierde umsah und die Atmosphäre in diesem Filmstudio in mich aufsaugte.
Ich habe die Atmosphäre von Film oder Fotostudios immer geliebt. Egal wo in der Welt ich sie betreten aber die in Paris waren mir immer die liebsten. Es ist die Atmosphäre von Improvisation und ein gewisses Laisser-faire welches die Studios auszeichnet. Sie passten auch gut zu meinem und Parthos Arbeitsstil. Obwohl dieser wohl eher in London zu Hause war.
Ich habe ihn dort, in London, während der Zeit als er dort mit der Enkelin von Victor Hugo lebte, mit Mori meiner inzwischen auch verstorbenen damaligen Lebenspartnerin besucht. Es war im Londoner Osten obwohl es mir sehr gefiel und ich ihn ausnahmsweise als wirklich glücklichen Menschen dort vor fand, war ich immer der Meinung, dass er besser zu Paris passte als zu London. Dies kann an meiner Abneigung die ich für London hege liegen. Aber auch daran, das ich irgendwie mich nicht gegen diese Empfindung wehren kann, das ein Inder in London immer ein Inder in London bleibt. Hat wohl etwas mit der besonderen Beziehung Indiens zu Großbritannien zu tun. Partho war oder ist ein Musterbeispiel dieser Hassliebe die indische Menschen mit England verbindet.
Letztlich war sein Leben geformt, geprägt, vom alltäglichen Rassismus. Dem selbst in Oxford und auf der Folkwang Schule ausgebildete Dunkelhäutige Menschen ausgesetzt. Ich hatte schon immer die Empfindung, dass das Leben immer viel Kraft von farbigen Menschen verlangt die Europa leben.
Frankreich ein stark von Kolonialismus wie auch England geprägtes Land, ist sich seines Rassismus weitgehend bewusst denke ich. Ebenso wie England. Es ist Deutschland wo der Rassismus rein unbewusst ist und verdrängt. Unvergessen ist mir die Bemerkung Paul Gredingers dem Chef eines der "G"s von GGK: "Ich wollte ja schon immer einen Inder als Texter haben:"
Mein Glaube das Partho in Frankreich mehr zu Hause als in London oder Düsseldorf, beruht darauf das die "Beautiful People" der Werbe und Modeszene dort, eher traditionell ein tänzerischen Ausdruck hat. Im Gegensatz zu Deutschland oder Großbritannien. Und Parthos Leben war Tanz, seit den Tagen auf der Folkwang Schule in Essen. Aber je länger es dauerte, das Leben, wurde es immer mehr ein Tanz auf dem Vulkan.
Im Traum verlor ich dann Partho aus den Augen während ich mich im Studio rumtrieb und mich mit den Leuten im Studio unterhielt. Nach einer Weile, Verlies ich das Studio und bewegte mich nach draußen vor die Tür und lehnte mich dort an den Eingang des Studios.
Mit meinen dreiundsiebzig Jahren, stamme ich aus einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Bob Dylan und die Rolling Stones, sind Gespenster einer Zeit die allmählich für die jetzigen so was ist, wie für mich die dreißiger oder Willy Fritsch und Lillian Harvey. So auch Partho und meine Agentur Jahre. Die GGK ist ein Mythos eigentlich nur noch für die noch Leben und tatsächlich noch wissen was es bedeutete eine Doppelseite im Stern gestaltet zu haben und dafür noch eine Goldmedaille im Art Directors Club zu bekommen. Wir liebten das gute Leben was uns die Werbung bot, genossen die tollen Restaurants und das heute in Paris, morgen New York, London oder Tokyo zu sein. Es gab mal bei Troost Campbell Ewald in Düsseldorf einen Account Executive, Kundenberater, der sagte wir wären alle im Show Business. Er hatte recht. Und Partho war ein Star in diesem Show Business.
So stand ich also in diesem Traum draußen vor dem Studio lehnte an der Mauer, als ich bemerkte wie die vorbei flanierenden Männer mich beobachteten, ich dachte, ich stehe hier wie eine Nutte. "Waitin for the man" wie der inzwischen ja auch verstorbene Lou Reed in den Siebzigern sang.
Partho ist auch Tod und draußen ist es kalt.


Abschied 1

Steig doch vom Pferd
lass uns einen Becher leeren,
Verrate mir wohin die Reise geht!
Du sagst, dir sei im Leben nichts gelungen
Nun kehrst Du heim,
Am Rand des Südgebirges auszuruhen...
So reite denn, ich will dich nicht mehr Fragen,
Die weißen Wolken steigen und Vergehen dort ohne Unterlass
Wang Wei

Georg

Abschied nehmen.

Es scheint mir oder besser ist, die Basis unserer Existenz. Abschied nehmen von allem.

Und zum Schluss gar von uns Selbst.

Die Frage bleibt, wer oder was ist oder bleibt, wenn wir uns von uns Selbst verabschieden.

Es gibt Abschiede die wir noch nicht mal bemerken oder kaum wahrnehmen. Und es gibt Abschiede, die zerreißen uns das Herz. Aber auch welche die sind eine Befreiung. Wie schon gesagt das Leben ist voller Abschiede und jede Nacht wenn wir einschlafen nehmen wir Abschied vom inzwischen vergangenen Tag. Nicht umsonst vergleichen wir den Tod mit dem Schlaf. Der Tod eines geliebten Lebewesen ist wohl der schmerzhafteste Abschied, den wir erfahren können. Nirgendwo erfahren wir den Verlust mehr, als in der Erfahrung des Todes. In der Antike war der Sinn der Philosophie das Sterben lernen. Und der Sinn der Zen Meditation ist, das Sitzen auf dem Kissen, dem Zafu, in der Einübung des Todes. Des "Nichtsein" des Begreifens das dieses Leben eine Art Bardo Zustand ist, wie es das tibetische Totenbuch es lehrt. Der Zen Meister Ikkyu Sojun sagt es so:

"Vor der Geburt nach der Geburt
Das ist der Ort wo du jetzt bist."

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Das ist Georg ein Freund, mein Freund, in der Blüte seines unseren Seins.
Georg ist das was man damals ein Besatzungskind nannte. Sein Vater war ein amerikanischer GI. Seine Mutter gebar ihn in einem hessischen Gefängnis.

Es viel ihm sicherlich nicht leicht auf diese Welt zu kommen. Aber er liebte das Leben voller Hingabe und ich bin dankbar die Ehre zu haben ihn gekannt zu haben. Georg verlies uns am 31.10. 2014 für immer. Und erfahren habe ich seinen Tod erst am 27.03. 2015., obwohl ich seit meinem letzten Besuch bei ihm, im September 2014, wusste das sein Tod unausweichlich und damit unser Abschied jeden Tag sein könnte, hielt ich ihn für mein Bewusstsein am Leben bis zum Morgen des 26.03.2015.

Ich erwachte mit dem Bewusstsein, das er tot ist, das es keinen Zweifel mehr gab, dass er jetzt, ein halbes Jahr später noch am Leben sein könne. Ohne das ich ein Zeichen von ihm gehört. Trotzdem wollte ich Gewissheit, die Krankenhäuser aus seiner Umgebung im Karlsruher Raum hatten mir jede Auskunft über seinen Zustand verweigert und das letzte was ich von ihm hörte, war jene SMS in der er schrieb:

"Danke meine Liebe. Bin seit Montag wieder in der Klinik. Bekomme wieder Blut.
Es geht dem Sterben zu. GG"
Ich antwortete:
"Wir halten Kontakt".
Er:
"Du bist bei meinem Sterben dabei."
Ich:
"Dann melde dich."
Er:
"Gute Nacht Jeanne"

Das war das letzte was ich von ihm hörte. Jede SMS die ich schrieb blieb ohne jede Antwort. Mich umfing sein Schweigen. Mir wahr klar oder besser gesagt, eine innere Stimme sagte mir, dies ist das endgültige Schweigen des Todes. Aber da war auch die Weigerung dieses Schweigen anzunehmen. Täglich, fast täglich schrieb ich ihm eine SMS. In der Hoffnung das ich eine Antwort bekommen würde. Das er das Schweigen beende und mir mitteile, ich bin noch da.

Skizze

Schon als ich im September 2014 bei ihm gewesen hatte ich den Entschluss gefasst ihn zu Porträtieren. Ich hatte von ihm Fotos und Skizzen gemacht. Und als ich zu Hause, entstand daraus, in mehreren Schritten das Bild.

Beim entstehen dieser Arbeit und mit der Betrachtung meiner inneren Bildern, also den Bildern die in mir entstanden während meines Aufenthaltes bei ihm, durch den Kopf.

A Water exposed skeleton


"Ein dem Wetter ausgesetztes Skelett ." Die Zeile, die dann zu dem Titel des Bildes wurde. Basho verfasste. Reiseberichte die eigentlich immer die Empfindung des Abschieds sind. Denn Unterwegs zu sein ist ein dauernder Abschied von Landschaften, Freundschaften. Basho beschreibt das wunderbar:
Es kam also der siebte Tag der letzten Dekade des dritten Monats. Der Himmel zeigte sich leicht in Dunst gehüllt, der Mond - die abnehmende Sichel - hatte an Leuchtkraft eingebüßt und der Gipfel des Fuji gab sich nur vage zu erkennen. Ich bekam einen Stich ins Herz, als mir angesichts der Blüten von Ueno und Yanaka unwillkürlich das Gedicht einfiel:
"....wann werde ich sie wiedersehen...?"

Wenn man ostasiatische Texte liest fällt einem auf das der Abschied immer aber auch immer im Grunde mitschwingt. Es ist wie es im japanischen Sprichwort gesagt wird. "Sich kennenlernen bedeutet Abschiednehmen."